Le malade imaginaire – der eingebildete Kranke zu Gast an unserer Schule

Hintergrund der Aufführung am 6. März in unserer Aula war die Semaine de la langue française et de la francophonie, die jedes Jahr um den 20. März, Journée internationale de la francophonie, stattfindet und mit unzähligen Anlässen die kulturelle Vielfalt der französischsprachigen Regionen und Länder auf der ganzen Welt aufleben lässt.

Die aus Frankreich stammende, international tätige Truppe Théâtre du Héron brachte für unseren diesjährigen Maturajahrgang Molières weltberühmte und ewig aktuelle Komödie Le malade imaginaire auf die Bühne, selbstredend in französischer Sprache. Wobei «Bühne» hier eigentlich nicht der richtige Begriff ist: Das Stück wurde im Parterre, sozusagen auf Augenhöhe mit dem Publikum, inszeniert. Die Kulisse bestand aus einem Würfel, der sich durch wenige Handgriffe und Drehungen der jeweiligen Handlung anpassen liess.

Dass die Aufführung begeistert hat, bezeugen viele Rückmeldungen aus dem jungen Publikum. Allerdings hat das für diesen Beitrag verantwortliche Mitglied der Redaktion bedauerlicherweise zu spät damit begonnen, unter den Lernenden der vierten Klassen jemanden zu suchen, der seine Eindrücke zur Aufführung hätte niederschreiben können. An dieser Stelle und faute de mieux berichten nun ausgewählte Charaktere aus dem Stück, wie sie die Aufführung erlebt haben.

Argan, eingebildeter Kranker:

«Drei und zwei macht cinq, und fünf macht dix, und zehn macht vingt, und zwanzig macht vierzig, und vierzig macht achtzig, und achtzig macht cent soixante! Wenn ich richtig gerechnet habe, bemitleidete mich an besagtem Mittwochmorgen ziemlich genau diese Anzahl an Menschen im Alter meiner erstgeborenen fille. Hätte sich unter ihnen wohl ein zukünftiger Arzt und somit Heiratskandidat für Angélique gefunden, zumal ihr der von mir für sie bestimmte Thomas nicht genehm ist…? Welch verpasste Chance! Ach, wäre ich doch nur nicht so mit mir selbst und meinen problèmes beschäftigt gewesen! Die ganze Welt lässt mich armen Kranken wieder einmal allein, drelin, drelin, klingling, klingling, zum Erbarmen ist es!»

Angélique, Argans nicht ganz glückliche Tochter:

«Ich halte nichts von diesem Thomas! Welch tollpatschiger Kerl… wirft mit par cœur gelernten Komplimenten um sich, lädt mich ein, dabei zuzuschauen, wie eine Frau seziert wird und spricht obendrein lateinisch avec moi! Und dann mein Vater und seine zweite Frau… Wie schwer es mir fällt, ihnen gegenüber respectueuse zu bleiben und ihnen doch unmissverständlich aufzuzeigen, wo sie sich nicht in mein Leben einmischen sollen! Wie sich das wohl für die jungen Menschen anfühlte, die heute meinen Worten lauschten? Kennen sie das auch? Oder lassen ihre Eltern ihnen die liberté, sich im Leben nach ihren Vorstellungen zu entfalten? Ich wünschte es ihnen so sehr!»

Cléante, ad hoc-Gesangslehrer und Angéliques heimlicher Geliebter:

«Wie dankbar ich dir bin, oh Angélique, dass du, discrète wie du bist, mich auch jetzt nicht erwähnt hast… dein Vater liesse kein gutes Haar an mir. Ich vergehe in Liebe zu dir und darf meine sentiments nicht ausleben – ein schier unaushaltbarer Zustand! Zudem ist mir zu Ohren gekommen, dass sich hier in unmittelbarer Nachbarschaft ein conservatoire de musique befindet… mögen meine Improvisationskünste nicht bis in diese heiligen Hallen zu hören gewesen sein, das könnte fatale Folgen haben… liebes public, verrate auch du mich nicht, bitte!»

Louison, Angéliques kleine, aufmerksame Schwester:

«Haha, ihr habt mich nicht sur scène gesehen, ich hingegen habe euch en secret beobachtet und mitbekommen, wie ein paar wenige ihre mobiles zückten…  ich werde meinem Papa nichts davon erzählen, auch wenn er mich mit der Rute bedroht, c’est promis! Hauptsache, ihr habt damit nicht Angélique gefilmt, wie sie sich heimlich mit Cléante traf… das gäbe einen währschaften scandale und würde die glückliche Zukunft der beiden jungen amoureux in Frage stellen, und das will ja niemand von uns, n’est-ce pas…?»

Béralde, Argans Bruder und selbst ernannter Gesundheitsexperte:

«Kein Wunder, dass die Kosten für medizinische Behandlungen ins Unendliche steigen, wenn ich dem Gehabe meines frère zusehe und mir ausmale, wie viele seiner Art ähnlich denken und handeln! Sassen heute wohl auch Leute im Publikum, die unhinterfragt und autoritätsgläubig sogenannte Heilmittel schlucken? Wie oft habe ich es gesagt: La médecine ist eine der grössten Narrheiten, die unter den Menschen vorkommt. Die Ärzte verstehen nichts davon, Krankheiten zu heilen und wir sollten la nature handeln lassen, denn sie hilft sich selbst am besten. Jeunesse d’aujourd’hui, schwöre den Medikamenten und Behandlungen ab – das freut die Krankenkassen und die politique!»

Béline, Argans zweite Frau und leuchtendes Beispiel für Aufrichtigkeit:

«Ein Schweizer Publikum, obendrein noch die élite, und das kann hierzulande nicht nur geistig gemeint sein – wie gerne würde ich auch euer Erbe an mich reissen, da gäbe es certainement einiges zu holen! Zumal es sich abzeichnet, dass Angélique ihre beträchtliche Mitgift in die Ehe abzügelt – zu offenkundig war meine Abneigung, ja mein Ekel für meinen mari, als ich ihn tot glaubte und mein Glück kaum fassen konnte. Oh Toinette, du würdest wohl auch jede Heuchelei in den médias sociaux erbarmungslos entlarven!»

Toinette, Argans Bedienstete und Vollblutkomödiantin:

«C’est ça, ma chère! Doch nun autre chose: Was für ein dankbares, aufmerksames public! Wenn ich denke, dass eure Freiwilligkeit, bei dieser Veranstaltung anwesend zu sein, in etwa derjenigen Cléantes entsprach, der den compliments seines Rivalen Thomas an die junge Frau beiwohnen musste, die er von Herzen liebt…?! Mein Kompliment nun aber an euch, insbesondere an die Anwesenden wider Willen: Ihr wart wie Cléante, seid höflich geblieben und habt unser Treiben äusserlich seelenruhig über euch ergehen lassen! Doch auch die anderen nahm ich im Publikum wahr, wenn ich nicht gerade mit Argans Klagen, Angéliques Schmachten oder meiner double rôle beschäftigt war: Die Eingeweihten, die voll und ganz dabei waren und über deren Gesichter bei so ziemlich jeder humorvollen verbalen Einlage (wohlgemerkt vorgetragen en français) ein Lächeln huschte. Wenn eure connaissances in dieser Sprache so gut sind, wie mein Meister gesund ist, seid ihr bereit für die Reifeprüfung!»


Dankbar für die Berichte und für deren Aufzeichnung verantwortlich: Peter Stucki

PS: Falls man die Aussagen der im Stück vorkommenden Ärzte und Apotheker schmerzlich vermissen sollte: Leider liessen sie sich nicht zu einer prise de position bewegen, ohne dafür ein stattliches Honorar zu kassieren, was die beschränkten Mittel unseres öffentlich finanzierten budget scolaire nicht zugelassen hätten.

PPS: Für alle, deren Neugierde geweckt wurde und die sich die comédie nun in deutscher oder, noch besser, in französischer Sprache zu Gemüte führen möchten: Hier der Link zu zwei sources, aus denen die Redaktion in den obigen Stellungnahmen mehr oder weniger frei zitiert hat – und Angaben zu einer papierenen édition, die viele unserer Lernenden nur zu gut kennen.

https://www.projekt-gutenberg.org/moliere/kranke/titlepage.html

https://www.theatre-classique.fr/pages/pdf/MOLIERE_MALADEIMAGINAIRE.pdf

Molière, Le Malade imaginaire, Comédie en trois actes, Reclam, ISBN: 978-3-15-014503-6