Zwischen Molekülen und Melodien
Das Interview mit Raphael Sigrist, Chemielehrer an unserer Schule, bildet den Auftakt einer neuen Beitragsreihe, in der wir Lehrpersonen, Schüler:innen und Mitarbeitende jenseits des schulischen Alltags porträtieren – mit ihren Interessen, Talenten, Fähigkeiten und persönlichen Geschichten.



Clair de Lune
Lieber Raphael
Nicht alle, aber viele, gerade solche, die schon länger am Lee sind, wissen, dass du ein begnadeter Klavierspieler bist. Wie kam es dazu? Wann und wo hast du dieses «Handwerk» erlernt? Erzähl doch mal.
«Begnadet» – das hört sich irgendwie übertrieben an, aber ich überlasse die Einschätzung lieber anderen… Wie ich zum Klavierspielen kam? Da muss ich etwas ausholen: Eine meiner ersten und prägendsten Erinnerungen geht zurück an einen Konzertflügel und eine Musikspielgruppen-Leiterin in Pfäffikon ZH, wo ich aufgewachsen bin. Ich und ein paar andere Kinder waren jeweils im Singsaal, spielten mit dem Tambourin oder Xylophon (ich weiss gar nicht mehr, was das für ein Kurs war) und kamen am Ende zu einem Kreis um den Konzertflügel zusammen. Dort sangen wir ein Abschlusslied. Ich war unendlich fasziniert von diesem Instrument und registrierte alle Details: das Holz auf den Seiten der Tasten, das beim Herunterdrücken zum Vorschein kommt, den weiss-schwarzen Farbkontrast, die Tastenform, den warmen, zauberhaften Klang, … bis heute überkommt mich dieser «Sog», wenn ich ein Klavier sehe. Es ist etwas Magisches, das ich mir nicht erklären kann. Wenn ich es jetzt analysiere, muss es viel mit Ästhetik zu tun haben, sowohl klanglich als auch äusserlich. Ich habe dann zu Hause vermeldet, dass ich Klavier spielen lernen will, und eins führte zum andern: Ich sträubte mich, in die Blockflöten-Stunde zu gehen (was man damals ja so machte, also nicht das Sträuben, sondern das Blockflötenspielen), weshalb meine Mutter nach einer Klavierlehrerin suchte, die bereit war, einem vierjährigen Vorkindergärtler Unterricht zu erteilen. Zum Pedal runter kam ich damals noch nicht.
Meine Eltern spielten auch sonst eine wichtige Rolle: Zu Hause gab es ein Klavier und ich erinnere mich, wie ich meinem Vater stundenlang zuhörte und dieselben Stücke spielen wollte. Meine Mutter wiederum war zum einen fürs «Organisatorische» zuständig, begleitete mich in alle Klavierstunden und besänftigte die Nachbarn, wenn ich die Ruhezeiten nicht einhielt und Klavier spielte. Zum anderen war und ist sie bis heute eine meiner treusten Zuhörerinnen. Wann immer ich bei meinen Eltern zu Hause bin und etwas spiele, sitzt sie dazu. Das ist strenggenommen nichts «Notwendiges», aber etwas Schönes, vor allem wenn man noch ein Kind ist.
Das klingt wirklich schön. Wie geht die Geschichte weiter? Besuchst du bis heute Klavierunterricht bzw. wie pflegst du dein Hobby?
Mit den Klavierstunden habe ich irgendwann Mitte Chemiestudium aufgehört und einfach für mich weitergespielt (und geübt). Nach einigen Jahren am Lee bin ich auf die Idee gekommen, am benachbarten Konsi wieder Klavierstunden zu nehmen, was ich bis heute mache. Nicht jede Woche und auch nicht jedes Semester – zusammen mit dem Familienleben und der Arbeit muss ich hier etwas dosieren. Daneben beschäftige ich mich hobbymässig mit dem Komponieren von Filmmusik.
Welche(s) Musikgenre(s) spielst und komponierst du?
Ich spiele hauptsächlich Werke aus der Romantik, also Beethoven (im Übergang aus der Klassik), Schumann, Mendelssohn, Liszt, Rachmaninov, Tchaikovsky und natürlich – mein absoluter Liebling – Chopin. Manchmal muss ich aber etwas ausbrechen und suche nach etwas «Schlichterem» wie Bach oder nach etwas noch «Kitschigerem» wie Walt Disney… Beim Komponieren finde ich es schwierig, meinen Stil einzuordnen, da er von vielen Einflüssen geprägt ist. So beinhalten meine Stücke etwa Motive, wie man sie auch in der Romantik finden würde; bisweilen sind sie auch etwas im Stil von Hans Zimmer. Ich habe mich aber auch schon angelehnt an modernere Filmmusikformen, die eher in Richtung «Soundworld» gehen, also weg von klar erkennbaren Melodielinien.
War es für dich immer klar, dass du das Klavierspielen «nur» als Hobby verfolgst oder hast du auch einmal damit geliebäugelt, dich professionell, also in Form eines Musikstudiums, damit zu beschäftigen?
Nein, so klar war es nicht. Als es um die Wahl des Studiums ging, hatte ich nebst Chemie (und Medizin) auch die Musik im Kopf. Ich habe mir dann aber vorgestellt, dass der Weg zum Profimusiker sehr steinig werden würde – ohne Garantie auf Erfolg, ein «Ellböglen». Diesen Ehrgeiz unter Musiker:innen finde ich unschön. Zudem dachte ich, dass man von der Musik weniger gut leben kann. Das hat wohl den Ausschlag gegeben…
Bereust du diese Entscheidung manchmal?
Ja, manchmal wäre ich gern wie unsere Musiklehrer Simon, Christoph oder Peter: in so vielen grossartigen Musikprojekten involviert, mit Emotionen dabei… und dann denke ich an meine Chemiefachschaft-Familie und bin damit auch sehr zufrieden.
Was wäre dein grösster Wunsch oder dein Ziel im Zusammenhang mit dem Klavierspielen?
Eine gute Frage! Wenn ich es mir recht überlege, bin ich beim Klavierspielen seit jeher ziellos unterwegs. Für mich ist der Moment des Spielens erfüllend, daraus kann ich viel Energie schöpfen oder mich beruhigen, wenn mal sonst etwas nicht in der Balance ist. Klar gibt es hin und wieder «Mini-Ziele», z. B. einen schnellen Lauf meistern zu können, aber nichts Grösseres. Das Spielen selbst ist gut genug.
Herzlichen Dank für deine Zeit und die persönlichen Einblicke, Raphael!
Interview geführt von: Alexandra Hauenstein
(Bilder: Cristobal Büchi)